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Siebenjähriger Krieg - Als die Ungarn Berlin stürmten

Boris Kálnoky • Feb. 10, 2020
1757 nahm der ungarische Husarengeneral András Hadik Berlin ein. Nur für einen Tag – aber der hat sich ins kollektive Gedächtnis der Deutschen und Ungarn eingegraben. 

Budapest – Auf dem Budapester Burgberg steht eine Reiterstatue, an der sich regelmäßig seltsame Szenen abspielen. Touristen und Einheimische, Frauen und Männer klettern auf den Sockel und streicheln die Hoden des Hengstes, die durch das viele Streicheln metallisch glänzen. Auf dem bronzenen Hengst sitzt das bronzene Ebenbild des Husarengenerals András Hadik, und den Hoden von Hadiks Hengst werden potenzsteigernde Kräfte zugeschrieben, weil er einst Berlin eroberte, obwohl das eigentlich unmöglich war. 

Seiter ging das Wort „Husarenstreich“ in die deutsche Sprache ein. Nur einen Tag blieb er in Berlin. Aber der eine Tag, genau genommen weniger als 24 Stunden vom16. auf den 17. Oktober 1757, hatte es in sich. Hadiks Handstreich gilt als eine der größten militärischen Leistungen des Siebenjährigen Krieges und hätte diesen bereits in seinem zweiten Jahr entscheiden können – wenn die Österreicher (in deren Diensten Hadik stand) und ihre Verbündeten die Chance erkannt hätten, die sich aus dem Vorstoß auf Berlin ergab. 

Der Siebenjährige Krieg (1756-1763) folgte auf den österreichischen Erbfolgekrieg (1740-1748) ein wenig wie der Zweite auf den Ersten Weltkrieg im 20 Jahrhundert. Es waren Kriege, an denen alle europäischen Mächte teilnahmen, und all dass weil Österreichs Kaiser Karl VI. keinen Thronfolger gezeugt hatte. Die Habsburger waren im Mannesstamm ausgestorben. Karl VI. hatte mit der „pragmatischen Sanktion“ zwar versucht durchzusetzten, dass seine Tochter Maria Theresia in Europa als legitime Thronfolgerin anerkannt würde. In der Praxis aber wurde die Frau auf dem Thron zum Kriegsgrund. Österreichs Rivalen stürzten sich 1740 auf die junge Herrscherin. Nach acht Jahren Krieg war zwar der Thron gerettet, aber Österreich hatte Schlesien an Preußen verloren. Maria Theresia wollte es zurückerobern und suchte dafür Verbündete – daraus folgte 1756 der Siebenjährige Krieg. 

In dessen zweitem Jahr befand sich Friedrich der Große in einer heiklen Lage. Er hatte zunächst Prag erobert, es dann aber wieder verloren, in Ostpreußen setzten ihm die Russen zu, in Pommern die Schweden, im Westen waren die Franzosen aufmarschiert, und im Süden hatten die Österreicher seine Armeen nach Schlesien zurückgetrieben. Er selbst eilte nach Westen, um sich den Franzosen entgegen zu werfen. Damit aber ließ er im Süden den Raum östlich der Elbe ungedeckt. Karl von Lothringen, der Oberbefehlshaber der österreichischen Truppen, hatte die Idee in diese Lücke nach Brandenburg vorzustoßen. Er wandte sich an Feldmarschall-Leutnant András Hadik, der ein Korps von rund 7000 Mann befehligte und sich mehrfach durch seine Kühnheit und Umsicht hohes Ansehen erworben hatte: „Ich habe verläßliche Nachricht, dass, nachdeme der Feind in Preussen von den Russen geschlagen worden, man in der Mark Brandenburg wegen eines Einfalls in großen Sorgen stehe“. Er fragte Hadik, ob er bereit sei, einen solchen Einfall zu wagen, um im Rücken Friedrichs Angst und Chaos zu verbreiten. Geplant war nicht mehr als eine „Diversion“, um Friedrich den Großen im Herzen seines Königreichs zu demütigen, und ihm einen gehörigen Schrecken zu versetzen. Das gelang.

Hadik machte sich sofort an die Planung. Nicht nur die Route nach Berlin von Radeberg über Elsterwerda, Luckau, Buchholz und Königs-Wusterhausen, auch den Rückzug weiter östlich über Storkow in Richtung Kottbus bereitete er akribisch vor, ließ an strategischen Punkten Vorratslager anlegen, wichtige Straßen, Brücken und Orte sichern, und sandte rund 1300 Mann zur Sicherung seiner westlichen Flanke an der Elbe in die Nähe von Friedrichs Truppen. Weitere 1800 Mann ließ er zur Deckung seines Rückens in Elsterwerda. Ihm selbst blieben nach all diesen Vorsichtsmaßnahmen nur noch etwas mehr als 3000 Mann – ungarische Husaren, österreichische Kavallerie, kroatische und österreichische Infanterie sowie sechs Kanonen. Mit dieser kleinen Truppe gelang es ihm, die 160 Kilometer bis Berlin in nur vier Tagen zurückzulegen. Er blieb zwar nicht unentdeckt – seinen Einmarsch ließ er der Bevölkerung ganz offiziell verkünden und forderte sie auf, Ruhe zu bewahren und nicht an Gegenwehr zu denken – aber es gelang ihm, die Preußen im Unklaren über die Stärke seiner Truppen zu lassen. Panik machte sich breit. Die Boten, die zu Friedrichs Hauptquartier eilten, um ihn vom Einfall des Feindes zu unterrichten, wähnten ein ganzes Korps von 15.000 Mann im Anmarsch.

Anders als die Österreicher – die so sehr auf ihr Kriegsziel Schlesien fixiert waren dass sie gar nicht daran dachten, Berlin mit stärkeren Kräften anzugreifen - erkannte Friedrich die potentielle strategische Bedeutung eines Schlages gegen seine Hauptstadt. Auch seine Offiziere erkannten den Ernst der Lage. „Diese Begebenheit giebt uns vielleicht den Todesstoß“, schrieb Graf Henkel von Donnersmarck, Adjutant des Prinzen Heinrich. Wenn der Feind „unsere Tuchmanufakturen, Zeughäuser, die Kanonengießerei, die Gewehrfabriken, die Pulvermagazine zerstörte“, dann könne Preußen nicht weiter kämpfen. Friedrich der Große dachte in seiner Verzweiflung am Abend des 12. Oktober sogar an Selbstmord, heißt es im Büchlein „Der Berliner Husarenstreich“ von Wladimir Kusnezow. Am nächsten Morgen hatte er sich wieder gefasst, und setzte seine ganze Armee an der Elbe in Marsch Richtung Berlin. Hätten nun die Franzosen, zu deren Abwehr Friedrich dort aufmarschiert war, rasch nachgestoßen, so hätte das dem Krieg eine entscheidende Wende geben können. Das taten sich aber nicht.

In Hadiks Familienarchiv, schrieb 1944 der ungarische Historiker Árpád Markó, befindet sich ein Brief ohne Namen, wahrscheinlich von einem Spion in Berlin, der genau jene Orte in Berlin präzise auflistet, um deren Schicksal Graf Donnersmarck bangte. Hätte Hadik Berlin besetzt, so hätte er also gewiss all das getan, wovor Friedrich Angst hatte, und hätte Preußen um seine Rüstungsindustrie gebracht.

Mit nur 3000 Mann dachte er aber gar nicht daran, zumal er wusste, dass Friedrichs Armee in Gewaltmärschen nach Berlin eilte. Um 10 Uhr Morgens am 16. Oktober schickte er einen Tropmpeter in die Stadt, um die zur Aufgabe aufzufordern – und zur Zahlung einer „Brandt-Steuer von dreymal Hundertausend Reichstaler“. Sonst greife er binnen einer Stunde an.

Wie klein seine Truppe war, verschleierte Hadik geschickt. Der Berliner Kommandant Hans Friedrich II. von Rochow hielt eine Verteidigung der Stadt deswegen für aussichtslos. Er wusste aber, dass Friedrichs Vorhut schon am nächsten Tag die Stadt erreichen werde und spielte auf Zeit. Da sie Hadiks Siegel nicht kannten, könnten sie nicht wissen, ob sein Schreiben authentisch sei, antworteten die Berliner nicht nach einer, sondern erst nach anderthalb Stunden. Da hatte Hadik seine Truppen aber bereits vor dem Schlesischen Tor aufmarschieren lassen und gab den Befehl zum Angriff.

Es war eine kurze, blutige Schlacht. Nach ersten Scharmützeln vor der Stadtmauer rissen Hadiks Kanonen ein Loch in den Wall, der nur aus Holzpalisaden bestand. Die Husaren und eine Kompanie kroatischer Infanterie strömten durch die Bresche. Auf dem „Köpenicker Feld“ stellten sich ihnen einige Hundert Verteidiger entgegen – sechs Kompanien des Regiments von Langen, durchsetzt mit unerfahrenen Rekruten. Hadiks Husaren ritten sie binnen Minuten über den Haufen, er selbst führte den Angriff. 93 Preußen starben, 140 wurden verletzt – die Österreicher hatten kaum Verluste zu beklagen.

Ansonsten gab es in Berlin nur ein Invaliden-Regiment und Rekruten, keine Kavallerie. Von Rochow ließ die Königin, den Staatschatz und das Archiv nach Spandau in Sicherheit bringen, und schickte auch alle seine restlichen Truppen dorthin. In Berlin machte sich Panik breit. Und Hadik, jetzt Meister der Stadt, schickte einen zweiten Trompeter: In Anbetracht der Lage fordere er jetzt 500.000 Taler Kriegssteuer, und weitere 100.000 für seine Truppen, um sie vom Plündern abzuhalten. Aber der Staatsschatz war nicht mehr da – sondern in Spandau.

Am Ende trieben Berliner Geschäftsleute und Bankiere 185.000 Taler in Gold- und Silbermünzen auf, und stellten einen Wechsel aus über 75.000 Taler. Damit zog sich Hadik, der insgesamt nur 10 Mann verloren hatte, in den frühen Morgenstunden des 17. Oktober zurück. Nur zwei Stunden später trafen die ersten preußischen Truppen in Berlin ein. Doch Hadik war nicht mehr da.
 
Für seine Heldentat erhielt er das Großkreuz des Maria-Theresia-Ordens. Friedrich der Große kam mit dem Schrecken davon – er eilte zurück zu den Franzosen und schlug sie am 5. November bei Roßbach vernichtend. Der Rest ist Geschichte. 
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