Blog Post

Der Weg zur deutschen Einheit

Dr. Axel Hartmann • Apr. 28, 2020
Am 09. November 1989 fiel der Eiserne Vorhang. Damit wurde aus beiden deutschen Staaten aber nicht automatisch ein geeintes Deutschland. Dieser Prozess gliedert sich in einen innenpolitischen und einen außenpolitischen Part.

Der außenpolitische Part war geprägt durch die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen, die am 14. März 1990 begannen. Auf der Seite der „Zwei“ verhandelten die beiden deutschen Staaten und auf Seiten der „Vier“ die Siegermächte des 2. Weltkriegs USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion. Die Bundesrepublik Deutschland war 1990 – 45 Jahre nach dem 2. Weltkrieg – kein vollständig souveränes Land. Nach wie vor galten alliierte Vorbehaltsrechte in Bezug auf Deutschland als Ganzes und in Berlin (West). Gesetze, die der Bundestag beschloss, mussten vom Abgeordnetenhaus in Berlin übernommen werden.
In den Zwei -plus- Vier Verhandlungen ging es darum, all diese Rechtsfragen zu lösen, um die Deutsche Einheit herbeizuführen. Daher mussten in diesen Verhandlungen mit den Siegermächten die außenpolitischen Bedingungen für die Wiedervereinigung Deutschlands sowie Frage der Ostgrenze und Truppenstärke künftiger deutscher Streitkräfte ausgehandelt werden. Insbesondere ging es auch darum, ob das vereinte Deutschland der NATO angehören durfte.

Der Zwei-plus-Vier-Vertrag (amtlicher Titel: Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland als Ganzes) wurde am 12. Sept. 1990 in Moskau unterzeichnet.

Zwischen März und September 1990 wurde einem enormen Zeitdruck verhandelt. Maren Schoening, Vorsitzende des Deutsch-Ungarischen Jugendwerks, hat mit Botschafter a.D. Dr. Axel Hartmann, 1989/1990 im Ministerbüro von Bundesminister Rudolf Seiters im Bundeskanzleramt in Bonn tätig, über diese Zeit gesprochen.

Als die Verhandlungen im Frühjahr begannen, war da allen Beteiligten in der Bundesrepublik schon klar, dass am 03. Oktober 1990 die Deutsche Einheit abgeschlossen sein wird?

Axel Hartmann: Nein, natürlich nicht. Zwar waren der Mauerfall und der Zusammenbruch der DDR im Herbst 1989 völlig überraschend gekommen und Ungarn hat an diesen geschichtlichen Ereignissen durch die Öffnung seiner Grenze für die DDR Bürger im September 1989 auch erheblichen Anteil. Aber es war klar, dass das Zeitfenster für eine solche Wiedervereinigung sehr eng war. Die Sowjetunion lag in den letzten Zügen und Gorbatschow, dem wir in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands sehr viel verdanken, war innenpolitisch schwer unter Druck, weil die Wirtschaft des Landes kollabierte und die mangelhafte Versorgung der Bevölkerung großen Unmut schaffte.

Vor diesem Hintergrund war uns klar, dass der Weg zur Deutschen Einheit sehr schnell beschritten werden musste. Dazu gehörte auch abschließende Regelung der Alliierten Vorbehaltsrechte. Lange war nicht klar, ob das wiedervereinigte Deutschland der NATO angehören dürfe und als Gorbatschow dies in Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten Bush Ende Mai in Washington bestätigte, war das schwierigste Problem ausgeräumt. Der ausgehandelte Verzicht des wiedervereinigten Deutschlands auf ABC Waffen und die drastische Reduzierung der Bundeswehr auf maximal 370.000 Mann – heute sind es etwa 200.000 - war eine Selbstverständlichkeit. Schließlich schienen Konflikte in Europa im Jahr 1990 in weite Ferne gerückt und Deutschland blieb ja Mitglied der NATO.
Innenpolitisch war vor allem die SPD zu überzeugen, dass man mit der Herstellung der Deutschen Einheit nicht allzu lange zögern dürfe. Deren damaliger Vorsitzender Lafontaine hatte lange eine Präferenz für ein Fortbestehen der DDR. Hilfreich war hier, dass sowohl die SPD Bundestagsfraktion, als auch die Mehrzahl des SPD Ministerpräsidenten, denn man brauchte ja im Bundestag wie auch im Bundesrat für die mit Verfassungsänderungen verbundene Abstimmung zur Herstellung der Deutschen Einheit eine Zweidrittel Mehrheit, und das ging nur mit der SPD und einem immer noch tatkräftigen Willy Brandt, der damals seiner Partei wiederholt die Leviten gelesen hat. Die Grünen (West) hatten den Zug völlig verpasst und flogen deshalb bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl aus dem Bundestag.

Man weiß, dass die die damalige britische Premierministerin Margret Thatcher keine Freundin der Wiedervereinigung war. Wer waren aber hinter den Kulissen die internationalen Freunde und Unterstützer?

Axel Hartmann: Ja, in der Tat: Die britische Premierministerin hat lange gebraucht um die Kurve in Richtung Deutsche Einheit zu kriegen. Auf dem Straßburger EG-Gipfel Anfang Dezember 1989, also vier Wochen nach dem Mauerfall orchestrierte sie den Widerstand gegen eine aufkommende Wiedervereinigung Deutschlands. Erst schickte sie den niederländischen Ministerpräsidenten Lubbers vor. Der trug vor, eine Wiedervereinigung würde nur Unruhe und Konflikte bringen. Ihm folgte der Italiener Andreotti, der schon zuvor bei einem Fest der Kommunistischen Partei Italiens erklärt hatte, er habe Deutschland so lieb, dass er am liebsten zwei davon habe. Als dies alles bei Helmut Kohl abperlte und er auf das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes verwies, sprang Margret Thatcher auf und brüllte über den Tisch: Zweimal haben wir Euch geschlagen, und jetzt seid Ihr wieder da! Erst der spanische Ministerpräsident Felipe Gonzales – ein Sozialist, im Gegensatz zu den zuvor redenden Christdemokraten und Konservativen – brachte Ordnung in die Debatte indem er erklärte, es sei doch Sache des deutschen Volkes zu entscheiden, ob und wie es zusammen leben möchte, wenn alle internationalen Streitfragen gelöst seien.

Welche Rolle spielte Michael Gorbatschow und hat Bundeskanzler Helmut Kohl ihm vertraut? Wie war die Einschätzung in Bezug auf die Position von Michael Gorbatschow? Rückblickend wissen wir, das ein Jahr später – im August 1991 – ein Putsch gegen Gorbatschow stattgefunden hat.

Axel Hartmann: Die Beziehung zwischen Gorbatschow und Kohl begann ziemlich holprig. Gorbatschow krempelte die Sowjetunion in allen Bereichen um und wollte das alte sowjetische System modernisieren. Der damals in Bonn neu akkreditierte amerikanische Botschafter Vernon Walters, den ich zum Gespräch mit meinem Minister begleitete, erklärte sarkastisch: Die Sowjetunion, das ist Obervolta* mit Atomraketen.

Gorbatschows Schlagworte waren Glasnost und Perestroika – Transparenz und Veränderung. Eine missglückte Formulierung in einem Interview des Bundeskanzlers führte zu einer vorübergehenden Verstimmung in den Beziehungen. Dabei hatte Gorbatschow schon reichlich vorgeleistet, um den Ost -West -Konflikt, der 40 Jahre lang ein Kernthema deutscher Außenpolitik war, zu beenden: Er nahm die Vorschläge der NATO zur Abrüstung der Mittelstreckenwaffen an und es kam völlig überraschend zu einer kompletten Abrüstung dieses für Europa gefährlichen Waffentyps. Die Nachrüstung dieses Waffentyps als Antwort auf eine entsprechende Vorrüstung der Sowjetunion war in den 80er Jahren ein Kernthema deutscher Innenpolitik und Geburtsstunde der Friedensbewegung und der Grünen. Eine positive Wende in den deutsch–sowjetischen Beziehungen nahm 1988 die deutsche Soforthilfe nach einem schweren Erdbeben im Kaukasus. Danach war das Eis gebrochen und es entwickelte sich zwischen Kohl und Gorbatschow ein Vertrauensverhältnis, das maßgeblich dazu beigetragen hat, die schwierigen Entscheidungen bei der Frage der Wiedervereinigung zu lösen. Gorbatschows Politik der Veränderungen hatte in der Sowjetunion auch versorgungstechnisch in Schwierigkeiten gebracht. Hier half Helmut Kohl umfänglich, indem er die damalige EG veranlasste, damals im Übermaß vorhandene Lebensmittel, Stichwort: „Butterberge, Milchseen“ in die Sowjetunion zu verbringen, was zu einer deutlichen Verbesserung der Versorgungslage und den Ost- West- Beziehungen insgesamt beitrug. Und die Bürger konnten anhand der Etiketten sehen, woher diese Lebensmittel kamen.

Gorbatschow stand seit dem Jahr 1990 unter erheblichem innenpolitischen Druck. Seine Bemühungen, das sozialistisch-planwirtschaftliche Systems der Sowjetunion zu reformieren, hatte der frühere bayerische Ministerpräsident Strauß einmal mit den Worten charakterisiert: Das gleiche dem Versuch Schneebälle zu rösten.

Letzten Endes war ein Putsch zu befürchten, der ja dann auch im August 1991 erfolgte – zum Glück erst nach Vollendung der deutschen Einheit und zum Ende der Sowjetunion führte.

Wie wichtig war Innen- und Außenpolitisch die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als endgültige Grenze zu Polen? Wie schwer hatte es BK Kohl diese Regelung auch innerhalb der eigenen Partei umzusetzen?

Axel Hartmann: Das war eine Frage, die vor allem in den Vertriebenen-Verbänden, die damals zahlenmäßig noch eine zu beachtende Größe waren, heiß diskutiert wurde. Und als Wählerschaft waren die nicht zu unterschätzen, zumal sie sich seit der Ostpolitik Willy Brandts mehrheitlich der CDU zugewandt hatten. Aber Kohl ist es in den hitzigen Debatten gelungen, vor allem die jüngere Generation der Vertriebenen auf seine Seite zu ziehen: Das gemeinsame Haus Europa hieß das Konzept, man fährt über Grenzen und merkt gar nicht mehr, dass es solche gibt – außer zu Corona Zeiten. Der jüngeren Generation war längst klar, dass die ehemaligen deutschen Ostgebiete nunmehr Bestandteil anderer Staaten geworden waren, man sie aber viel einfacher bereisen konnte als zu Zeiten des Ost-West Konflikt. Bis auf einige wenige Altvordere hat die Masse der Vertriebenen der Wiedervereinigungspolitik Helmut Kohls, inklusive endgültiger Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als völkerrechtlich verbindliche Grenze zwischen dem wiedervereinigten Deutschland und Polen, zugestimmt. Und alle vier Alliierten haben keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Anerkennung Bedingung für die Zustimmung zur Wiedervereinigung ist. Wie war die innenpolitische Lage in der Bundesrepublik? Haben alle im Bundestag vertretenden Parteien an einem Strang gezogen? Und wie sah die Lage in der noch bestehenden DDR aus?

In dieser angespannten Situation zogen die Altparteien der Bundesrepublik an einem Strang. Allen war klar, dass sich hier eine historische Veränderung entfaltete und die wollte niemand scheitern lassen. Letzte strittige Punkte, wie die Frage einer Verfassungsreform, wurden auf künftige Jahre vertagt. Und letztlich ist es bei unserem Grundgesetz geblieben. Grundgesetz deswegen, weil es gemäß den Verfassungsvätern von 1949 ein Provisorium bleiben sollte bis zu einer Wiedervereinigung Deutschlands.

Die Menschen in der DDR ließen keinen Zweifel daran, dass sie die Wiedervereinigung so schnell wie möglich wollten. Das Abstimmungsverhalten bei der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 war entsprechend: Eine überwältigende Mehrheit für die Parteien, die für die Wiedervereinigung plädierten.
Die innenpolitische Stimmung war voller Euphorie. Es war aber auch eine unheimliche Anspannung zu spüren. Wir wussten im Bundeskanzleramt aufgrund der Informationen, die wir über die Sowjetunion bekamen, dass die Zeit drängt. Und auch die Bürger der DDR waren nach dem Mauerfall nur mit Mühe zum Verbleiben in ihrer Heimat bereit. Der Westen lockte mit deutlich höheren Gehältern, einer intakten Infrastruktur und Immobilien – ganz im Gegenteil zur DDR, deren totaler Verfall jetzt erst richtig an die Öffentlichkeit kam. Keine Fabrik in der DDR war 1990 nach westdeutschen Maßstäben wettbewerbsfähig und die Wohnungslage war desaströs. Die Modernisierung und Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse hat lange gedauert. Helmut Kohls Wort von den „blühenden Landschaften“ war erst Jahre später Realität geworden. Heute gibt es in den neuen Ländern die modernste Infrastruktur und die modernsten Fabriken, was auch in der „alten“ Bundesrepublik mittlerweile zu Diskussionen führt.

Insgesamt rückschauend war die Wiedervereinigung ein Geschenk der Geschichte, das deswegen so gut gelungen ist, weil zur richtigen Zeit die richtigen Leute am richtigen Platz waren. Man stelle sich mal vor, wir hätten das statt mit Gorbatschow und George Bush (Vater) mit Putin und Trump verhandeln müssen. Dann wären wir vermutlich heute noch nicht fertig...



*Obervolta: ehemalige französische Kolonie in Westafrika. Heute heißt das Land Burkina Faso.
Share by: