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75 Jahre Kriegsende

Maren Schoening • Jan. 19, 2020
Am 18. Januar 1945 siegte die Sowjetunion im 2. Weltkrieg in Budapest. György Konrád erlebte den Tag in Budapest und beschrieb ihn in seinem Buch „Glück“ bzw. in der ungarischen Originalausgabe unter dem Titel „Elutazás és hazatérés“:

“Im Licht der am Himmel aufheulenden Stalinorgel konnten wir an der Straßenecke einige Wochenschauszenen vom Kriegsschauplatz sehen, diesmal in der Totale und ohne Leinwand. Ein Panzer rollte über die Barrikade und fegte die Basaltquader hinweg, hinter ihm weitere Panzer und Infanteristen. In der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1945 sahen wir deutsche Soldaten, die mit ihren leichten Maschinengewehren hinter dem Steinhaufen auf den Bäuchen gelegen hatten, in den Park davonlaufen. Die Front bewegte sich weiter in Richtung St. István körút. Die historische Wende (für mich die Befreiung, für andere die Niederlage) habe ich also im Morgengrauen des 18. Januar 1945 mit eigenen Augen gesehen.“ Ab dem 18.01.1945 war Pest befreit. In Buda wurde noch bis Mitte Februar gekämpft. Glück war es, dass der junge György von seinen Eltern einen Tag vor der Deportation der Juden aus seinem Heimatdorf nach Budapest geschickt wurde. Großes Glück war es, dass er den Krieg in Budapest überlebt hat.

Für viele Ungarn und Deutsche begann nach dem Schrecken des Krieges eine neue Katastrophe mit Deportation oder Vertreibung. Dieser Themenkomplex der Deportation von Deutschen und Ungarn in die Sowjetunion findet in Deutschland - wenn überhaupt - nur in Insiderkreisen Beachtung. Wenn Sie unter dem Brandenburger Tor nach der Bedeutung des Begriffs „Malenkij Robot“ fragen, werden Sie keine Antwort bekommen.

Unter „Malenkij Robot“ (auf Deutsch: kleine Arbeit) versteht man die Ableistung einer Kollektivstrafe durch Zwangsarbeit, die mit dem am 16.12.1944 verkündeten und von Josef Stalin unterzeichneten Befehl Nr. 7161 der UdSSR umgesetzt wurde. Mit dem Befehl wurde angeordnet, dass die in Rumäniens, Jugoslawiens, Ungarns, Bulgariens und der Tschechoslowakei wohnhaften arbeitsfähigen deutschen Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren und Frauen von 18 bis 30 Jahren mit dem Ziel ihrer Entsendung zum Arbeitseinsatz in der UdSSR mobilisiert und interniert werden sollten.

Dieser Befehl betraf auch Ungarn mit deutscher Abstammung. Wobei die Abstammung oft willkürlich ausgelegt und auch Ungarn ohne deutsche Wurzeln Opfer wurden. Die Internierten sollten zur Wiedergutmachungsarbeit in den Kohlewerken des Donezbeckens und im Hüttenwesen des Südens eingesetzt werden. Die Internierung musste zwischen Dezember 1944 und Januar 1945 abgewickelt werden und die Arbeitskräfte hatten bis zum 15. Februar 1945 am Arbeitsort einzutreffen.

Die Rote Armee hatte es nach der Eroberung von Pest also eilig und die Selektierung und Deportation der Zivilbevölkerung begann unmittelbar nach dem Einmarsch. Für die Deportation mussten sich die betroffenen Frauen und Männer bei der Verwaltung melden und wurden aufgefordert sich für „eine kleine Arbeit“ mit Lebensmitteln und Kleidung einzudecken. Sie wurden zu Sammelstellen gebracht, sowjetischen Truppen übergeben und dann in Kriegsgefangenen- und Internierungslager (GUPWI) in der Sowjetunion zur Zwangsarbeit verschleppt. Wer sich den Anordnungen widersetzte oder versuchte zu fliehen, wurde hart bestraft. Viele überlebten die jahrelange Zwangsarbeit nicht.

Von diesem Befehl waren alle Landesteile betroffen. Hart traf es zum Beispiel auch das ehemalige ungarische Gebiet Transkarpatien. Mit dem Befehl Nr. 0036 vom 13.11.1944 der 4. Ukrainischen Front sollte Transkarpatien von Ungarn und Deutschen gesäubert werden. Der Befehl lautete: „In der Karpatenukraine sind die Personen deutscher und ungarischer Nationalität im dienstfähigen Alter zu verhaften und in die Sowjetunion zu befördern.“ Viele Erinnerungsorte - zum Beispiel im Gedenkpark Szolyva in der Westukraine - erinnern heute an diesen Teil der Willkürherrschaft.

Am 19. Januar 1946 begann dann ein weiteres dunkles Kapitel der Vertreibung. An diesem Tag mussten die ersten von über 200.000 Ungarndeutschen in Budaörs in Viehwagons ihre ungarische Heimat Richtung Deutschland verlassen. In Ungarn ist der 19. Januar heute offizieller Gedenktag für die vertriebenen und verschleppten Ungarndeutschen.

Die Anerkennung von Minderheitenrechte und die Bewahrung der eigenen Identität - manchmal vielleicht auch einer Doppelidentität - sind heute Bausteine eines friedlichen Zusammenlebens. Wenn wir in diesen Tagen an die vielen Opfer denken, dann wird uns klar, dass ein friedliches Europa keine Selbstverständlichkeit ist.
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